Es gibt verschiedene Wege, eine Veranstaltung ungewöhnlich zu machen. Man kann exklusiv sein, man kann ein besonderes Ambiente wählen, oder ganz besondere Inhalte anbieten und irgendwie trifft das alles auf die Veranstaltung „Creating change – Lessons from the digital transformation of the cultural sector“ des Projektes Museum 4.0 zu. Nur vielleicht auf eine etwas unfreiwillige Art und Weise.
Exklusiv wirkt die Veranstaltung, weil die Teilnahme nur nach persönlicher Anmeldung möglich ist und schon die Ankündigung verrät, dass der Versammlungsort in der Staatsbibliothek unter den Linden nur über eine Baustelle zu erreichen sein wird. Beim Laufen durch das Labyrinth komme ich mir dann vor, wie der Seemann Marlow in Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, nur in einer komischen Variante. Auch der besondere Inhalt wird geboten, hier schon allein wegen der Person des britischen Digitalpioniers Chris Michaels.
Die Organisatoren des Projekts 4.0 machen also erst einmal alles richtig, um Erwartungen zu wecken. Es ist ja auch nur logisch – wenn es um die Entwicklung einer digitalen Strategie für Museen in Deutschland geht (nichts weniger hat sich das Museum 4.0 Projekt auf die Fahne geschrieben), dann sieht man sich dort um, wo bereits erfolgreich digital gearbeitet wird. Man lädt Fachleute ein und triggert eine Debatte. Mit Chris Michaels eröffnet ein erfahrener Digital Director (früher British Museum unter Neal McGregor, heute National Gallery London) das neue Veranstaltungsformat des Museums 4.0, das sich folgerichtig „Museum 4.0 Impulse“ nennt.
Aber zur Sache – und die macht Chris Michaels erwartungsgemäß gut. Doch bevor er richtig loslegt stößt ein Satz aus der obligatorischen Vorstellung des Vortragenden auf: „he (Chris Michaels) has a lot of experience with what we try to accomplish in museum 4.0“ führt da die Moderatorin aus und eine so zaghafte Formulierung lässt dann doch aufhorchen. „Versuchen zu erreichen…?“ Klingt das nach Mut und Vision, oder nach Ratlosigkeit und verzweifelter Suche? Bevor man aber die Zeit findet weiter über diese Formulierung zu grübeln, übernimmt Chris Michaels das Heft und lässt keinen Moment einen Zweifel, dass er mit Publikum umzugehen weiß. Jovial spaßt er über seine Erfahrungen mit „black forest gâteau“ seine leider aber schlechten Deutschkenntnisse, obwohl er doch schon so oft in Berlin gewesen sei.

Dann kommt er ohne Umschweife zum Thema. Was ihm besonders am Herzen liege, sei klar zu machen wie groß der Unterschied zwischen dem sei, was man im Museum und was man in Startups unter digitalen Medien verstehe. Michaels bedient gekonnt die Klaviatur des souveränen Vortrags: Folien mit einfachen Kernbotschaften wechseln sich ab mit Folien, die überfrachtet und kleinteilig die Komplexität von Herausforderungen oder Maßnahmen beschreiben und hier und da zücken Teilnehmer im Publikum instinktiv das Handy um die vielen Inhalte zu knipsen. Michaels spricht langsam, mit bedeutungsvoller, souveräner Stimme und weite Teile seiner Darstellung drehen sich um Erfolge (stets mit beeindruckenden Zahlen belegt), die seine Thesen wie in Stein gemeißelt wirken lassen.
Wir befänden uns, so konstatiert er, im „dritten Zeitalter des Museums“, das auf die Epoche der Aufklärung und jene der Kommerzialisierung in den 1970er Jahren folge. In diesem nun digitalen Zeitalter würden digitale und physische Umgebungen stärker miteinander verzahnt, die Welt sei gleichzeitig deutlich mehr fragmentiert und widersprüchlich. Darauf folgt der unvermeidliche Twitter-Trump-Verweis, wohl um klar zu machen wo man steht. In diesem Bruch zwischen physischem Museum und digitaler Parallelwelt erkennt Michaels nun das Problem, mit dem es umzugehen gelte. („We need to re-unify these diverging environments.“)
Um physische und digitale Kluft also zu verringern, oder gleich ganz zu beseitigen, müssten Museen deutlich mehr auf ihre Audiences/Besucher hören. Damit meint er aber, wie sich an späterer Stelle zeigt, nicht zwingend, dass man diesen etwa zuhören, oder diese zu Wort lassen kommen müsse, sondern dass man über sie mehr erfahren müsse. Die Besucher zu kennen sei heute so wichtig, wie eine Sammlung zu pflegen, betont er und das ist wieder so ein Satz, gegen den man sich eigentlich nicht mehr wehren kann, zu schnörkellos und eingängig kommt er daher, zu stimmig erscheint das Bild, das der Vortragende zeichnet. (Gleichzeitig flackert für einen Moment die grauenhafte Vorstellung auf, dass schließlich Algorithmen darüber entscheiden, wie unterschiedlich die Informationen sein sollen, die an bestimmte Besucher(gruppen) ausgegeben werden.) Die Erwartungen der Zielgruppen ebenso ernst zu nehmen (Customer expectation) sei dann, so Michaels weiter, genau so wichtig, wie der Erhalt des Museumsgebäudes und für ihn bedeute Innovation gleichermaßen aus Erfolgen und Fehlern zu lernen. Wobei – das sei schon mal vorweg genommen – von Fehlern an diesem Abend nur am Rande die Rede sein wird.
All diese Lehren zu verstehen sei alles andere als einfach, betont Michaels, und man solle diese Herausforderungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das alles brauche Zeit, Ausdauer, Ressourcen, und es sei gar nicht so einfach diese Prinzipien wirklich zu verinnerlichen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt fragt die Hälfte des Raums sich, wie er – Chris Michaels – das dann bloss zustande gebracht habe. Was ist sein Geheimnis?
Bevor man sich auf solche Fragen aber wirklich besinnen kann, stellt Michaels eine Reihe von praktischen Beispielen vor, und verdeutlicht, wie man durch digitale Innovation bestimmte Services vollkommen neu gestalten kann und soll. Dazu gehört ein intelligentes Ticketing (sein Vorbild ist hier Amazon und seine These, dass es einen objektiven Preis nicht gebe), das je nach Zeit, Ort, oder Art und Weise des Ticketkaufs unterschiedlich kalibriert werden könne. Wirtschaftliche Effizienz, darum gehe es, nicht nur beim Ticketverkauf, sondern bei vielen der dargestellten Services und Angebote und als er ausführt, wie die traditionellen Finanzierungsmodelle der britischen Museen lange Zeit organisiert waren, schütteln manche im Publikum ungläubig und vor Mitleid den Kopf. Da muss man ja kommerzialisieren, mag man denken. Man könne, so Michaels weiter, von Unternehmen der freien Wirtschaft viel lernen. Dort, wo Besucher oder User sich auf ein Abonnement verpflichten würden, sei die Bindung an ein Produkt, eine Marke oder einen Service deutlich besser ausgeprägt, als anderswo. Netflix lässt grüßen. Auch Audioguides würden heute im Prinzip so stumpf funktionieren, wie das noch 1952 der Fall gewesen sei, die Zukunft aber sei mobil und daher gelte es, digitale Angebote für die Geräte der Besucher und User zu optimieren. Als Beispiel zitiert er die Kooperation mit einem Londoner Startup (Smartify), die augmented content für die Anwendung auf Mobilgeräten im Museum entwickeln würden.
Innovationen, die er für das British Museum eingeführt habe, sprächen dagegen eine deutliche Sprache. Wo traditionell bis zu 5.000 Mails oder Postkarten pro Jahr beim British Museum angekommen seien, wäre die Zahl nach der Umstellung auf digitales Feedback um den Koeffizient 10 auf 50.000 gestiegen. Für die Sichtbarkeit des Museums sei es von unschätzbarem Wert, wenn es auf einem top ranking bei tripadvisor lande. Auch die Art und Weise, mit der Museen ihre Botschaften vermittelten, könne radikal verändert werden – die Catch-phrase, die Michaels hier wieder und wieder erwähnt ist die Personalisierung und damit Emotionalisierung der Geschichten. Plötzlich spreche nicht mehr der allmächtige Kurator, sondern ein Mensch mit einem Namen über etwas (als Beispiel nennt er die Irving Finkel Story), das ihn seit seiner Kindheit zutiefst fasziniert und die damit übermittelte Emotion ist es, die den Unterschied macht und die Menschen online erreiche. Wenn er die Uhr zurück drehen könne in die frühen Tage des Internet, dann würde er anstelle von Webseiten Videos den Vorzug geben, führt Michaels augenzwinkernd aus und fügt hinzu – „wählen sie das Medium, das am effektivsten ist“ („choose the medium that matters most“).
Chris Michaels weiß zu überzeugen. Seinen stärksten Moment an diesem Abend hat er vielleicht, als er darüber berichtet, wie ein junger Mitarbeiter (mit gefärbten Haaren – warum er dieses Detail erwähnt??) ihm vorschlägt, er solle das British Museum auf Minecraft nachbauen lassen, er aber nur mit halbem Ohr zuhört, der junge Kollege daraufhin eine Anfrage auf Reddit stellt und kurz darauf hunderte Freiwillige anbieten, das Projekt gratis zu programmieren. So ein Projekt koste nicht einmal Geld, setzt er hinzu, aber ohne die Bereitschaft ein Risiko einzugehen sei so etwas nicht möglich. Mut zur Lücke nennt man das hierzulande. Das, neben all den strahlenden Success-Stories, ist vielleicht die eigentliche Essenz dessen, was Michaels seinem Berliner Publikum zu diesem Thema mitgeben will.
Wenn er dann über die 3D-Digitalisierungsprojekte spricht, die von leidenschaftlichen Pionieren in den Museen proaktiv entwickelt würden, oder von einer virtuellen Ausstellung der 5 Van-Gogh-Sonnenblumen-Gemälde, die sonst niemals in einer einzigen physischen Ausstellung präsentiert werden könnten und die dann gleich 6.8 Millionen online-Besucher hatte, ist die Überwältigung im Publikum mit Händen zu greifen. Die Emotionen schwanken zwischen Verblüffung und Bewunderung und entsprechend wird es in der abschließenden Fragerunde dann auch in Worte gefasst. Wie groß denn die Teams gewesen wären, die er im British Museum oder in der National Gallery um sich geschart habe, wie sei es ihm denn gelungen die Kuratoren an Bord zu bekommen (hoppla!), warum denn nicht andere Museen seinem Vorbild folgen würden, oder ob denn die Entwicklung solcher digitaler Angebote auch zu höheren Besucherzahlen im physischen Museum führen würden. (Überraschung, er verneint!) Auf alle Fragen antwortet Michaels freundlich und kenntnisreich und am Ende bleibt der Teilnehmer der Veranstaltung mit vielen beeindruckenden Details, funkelnden Projekten, bedeutenden Worten und vielfältigen Handlungsempfehlungen zurück, ohne dass die eigentliche Frage des Vortrags, wie man denn nun eigentlich den Wandel gestalte, hinreichend beantwortet wäre. Aber vielleicht gibt es eine solche allumfassende Antwort ja auch gar nicht?
Was es aber braucht – und davon war an diesem Abend viel die Rede – ist ein mindset, das den Wandel einleitet, ihn möglich macht und gestaltet. Eine solche Art des Denkens setzt die Lust am Experiment voraus und bezieht ein mögliches Scheitern ganz bewusst mit ein – auch wenn Chris Michaels darüber an diesem Abend aus eigener Erfahrung nicht viel berichten wollte.
Vielleicht sollte man aber auch noch kritisch fragen, ob eine allzu enge Orientierung an dem, was Unternehmen wie Google, Apple, oder Facebook machen – also an der lückenlosen Analyse und Durchleuchtung der User, für eine Institution wie das Museum wirklich ein Königsweg sein sollte? Tun Museen sich mit der ausschließlichen Orientierung an Clickraten und Besuchsstatistiken auf ihren sozialen Netzwerken, Blogs, Webseiten etc. wirklich einen Gefallen? Bleiben Museen wirklich nur dann relevant, wenn Sie die Daten ihrer Besucher aufzeichnen, auswerten, kontrollieren? Oder um es noch grundsätzlicher zu fragen – was genau ist der Zweck all dieser Aktivitäten? Warum braucht es die digitale Strategie – was ist die Vision für die Zukunft der Institution Museum?

Wie dem auch sei – auch um in das Herz der Finsternis vorzudringen, braucht es Mut. Wie diese Reise im Roman und im Film ausgeht, wissen wir allzu gut. Wie diese Reise in die Zukunft der Museen weiter aussehen wird, bleibt in vieler Hinsicht ungewiss. Auch Chris Michael wusste darauf keine Antwort – außer, dass die Zukunft ganz sicher mobil sein wird.
Danke für das schöne SchneckenBild!
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