„Upgrade your natural intelligence!“ lautete der etwas laut geratene Claim, mit dem der diesjährige Science Match der Digital Future 2018 im Berliner Kosmos beworben wurde. Dabei bräuchten die Akteure, die sich da zusammen getan haben, gar nicht groß mit der Trommel zu wirbeln. Es reicht, wenn man sich die Namen derer, die da zusammen in den Ring gestiegen sind, auf der Zunge zergehen lässt. Da treffen nicht nur das Hasso Plattner Institute, das Zuse Institute Berlin, das German Research Center for Artificial Intelligence und das Berlin Big Data Center zusammen, sondern auch das neu gegründete Einstein Center Digital Future, und das ebenfalls junge Weizenbaum Institute for the Networked Society. Dazu kommt noch die kommunikative und organisatorische Unterstützung des Berliner Tagesspiegel-Verlags. Damit nicht genug – das Format wird auch von schlagkräftigen Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt. So sind Commerzbank neben BMW und Rolls-Royce genauso vertreten, wie die Bundeswehr und der Deutsche Zigarettenverband.

Wer da noch Fragen hatte, brauchte bloß in den Tagesspiegel vom 14. Mai zu schmökern, in dem Tilman Santarius unter dem Titel „Runter von der Überholspur“ mit erfrischend deutlichen Worten zu einem kritischen und durchdachten, weil sorgfältig geplanten Umgang mit den Chancen der Digitalisierung aufrief.
Santarius fasst in seinem Artikel die gegenwärtige deutsche Debatte um die Digitalisierung treffend zusammen. Da sind beispielsweise Stimmen wie die des Soziologen Harald Welzer, der in seinem Buch „Die smarte Diktatur“ betont, dass die Digitalisierung mitnichten ein Instrument zur Lösung drängender Probleme wie dem Klimawandel, der Zukunft der Mobilität, der Flucht- und Migrationsbewegungen oder wenigstens nur ein Mittel zur vertieften Partizipation in der Demokratie sei, sondern selbst vor allem neue Probleme erschaffe. Andererseits zitiert Santarius Stimmen, die annehmen, dass die Digitalisierung ein Instrument sei, das die drängenden Probleme der Gegenwart lösen helfen werde. Santarius macht in seinem lesenswerten Artikel überdeutlich, dass allzu großer Optimismus nicht angebracht ist – vielmehr ein prüfender, kritisch reflektierender Blick darauf, welche Kosten und Nutzen nun wirklich mit der Digitalisierung einher gehen.

Wird tatsächlich nennenswert Energie durch Carsharing-Modelle eingespart, oder steigt dadurch einfach die Zahl der gefahrenen Kilometer, sind „Smarthome-Systeme insgesamt weit ressourcenintensiver (…) als die gute alte Gasetagenheizung“, wie viele Jobs werden nach konservativen Rechnungen in den kommenden Jahren durch die Digitalisierung wegfallen und durch welche Jobs werden sie ersetzt werden – das sind nur einige der im Artikel angesprochenen Aspekte. Santarius mahnt: „Nur eine sanfte Digitalisierung kann sicherstellen, dass die vernetzte Gesellschaft von morgen zugleich eine freiere, gerechtere und umweltfreundlichere Gesellschaft ist.“

Genau diese auf den ersten Blick widersprüchliche Mischung aus digitalem Fortschrittsglauben und kritischem Bedenken zog sich dann auch durch die Veranstaltung, die sinniger Weise mit den Problemen eröffnete, die doch durch die Digitalisierung erst selbst entstanden sind. Unter dem Titel „Cyber Security“ ging es zunächst nur wenig um Chancen, sondern um allgegenwärtige Sicherheitslücken sowohl in kommerziellen Infrastrukturen als auch in privaten Systemen. Hacks und Angriffe, Überwachung und Datendiebstahl sind an der Tagesordnung und Christoph Meiner wusste in seinem Vortrag gleich zu berichten, dass 73 Prozent sämtlicher File Viewer Apps ein Sicherheitsproblem haben. Die Tatsache, dass das Publikum bei solchen Zahlen nicht schon unruhig in den Sitzen zu rutschen begann, war das eigentlich Bemerkenswerte zu diesem Zeitpunkt. Digitalisierung – daran scheinen wir uns gewöhnt zu haben – geht eben mit Spionage durch Staaten und Firmen und mit allen möglichen Formen von Kriminalität serienmäßig einher. Selbst die Infrastruktur des Internet sei wie jeder wisse nicht sicher und ein Hack werde im Durchschnitt erst nach 99 Tagen entdeckt. Kein Wunder, dass dann Sicherheit mit einem Mal zum Geschäftsmodell wird.

Gegen die Geister, die wir riefen, lässt sich doch sicher ein Mittel vermarkten, so die Logik und konsequenter Weise erläuterte Maxim Schnjakin von der Bundesdruckerei dann auch gleich, dass eine Institution, die sich auf sichere Ausweise und Geldscheine verstehe, auch weitergehende Services, wie zum Beispiel eine „super safe dropbox“ vermarkten könne. Vom Kuchen der Digitalisierung wollen also alle ein Stück abbekommen. Auch David Jäger vom Hasso Plattner Institut verwies auf Herausforderungen der Digitalisierung und auf die Tatsache, dass der Diebstahl von Identitäten im Netz immer weiter um sich greife. Insbesondere der Umgang mit dem persönlichen Passwort-Management sei hier als Problem erkannt – in verschiedenen Regionen der Welt würden bei der Wahl eines Passworts interessante, ähnlich einfach voraussagbare Muster bedient (Chinesen wählen numerische Passwörter, in Italien sind Fussballvereinsnamen populär, in Deutschland Varianten des Worte „Passwort“ selbst, etc.). Man würde schmunzeln, wenn es nicht so ernst wäre. Solche Probleme schmälern die Möglichkeiten der Digitalisierung dennoch in den Augen vieler nur geringfügig.

So führte Martin Visbeck in seiner Keynote zur Session „Digital Decision Support“ aus, wie mit Hilfe digitaler Technologie die zukünftige Nutzung des Ozeans („One planet – one ocean“) gerecht und nachhaltig geplant werden könne. „At Helmholtz we like to say we deal with grand challenges!“ eröffnet Visbeck seine Ausführungen und da klang es schon fast bescheiden, als er bemerkte, dass alle Planungen für die Zukunft die planetaren Grenzen berücksichtigen müssten. Was das dann aber genau bedeutet und was ein „sicherer und gerechter Operationsrahmen für die Menschheit“ bei der Nutzung der Meere sein könnte, da blieb er – vermutlich auch wegen der knackigen Kürze der Vorträge einige Antworten schuldig.
So stellte Visbeck das Problem dar: „Was, wenn mein afrikanischer Kollege nun genau so leben will wie ich?“ – Dann, so die Logik, haben wir ein Problem… Houston! Hier kommt dann die Digitalisierung ins Spiel, die wenigstens ein Schlüssel zur Lösung von Problemen sein könnte. Denn wenn wir erst einmal alle Informationen open access bereitstellen könnten, dann folgten bessere Beobachtungen, ein vertieftes Verständnis aller Prozesse und eine bessere Bewertung von Nutzen und Risiken. Visbecks Analyse endete optimistisch mit dem Blick in eine leuchtende Zukunft, denn digitale Werkzeuge erlaubten es, bessere Entscheidungen zu treffen.
Man würde sich von dem Optimismus gerne anstecken lassen, aber da kommt auch schon Klaus, der vom Tagesspiegel beauftragte Animateur und spielt die Redner, die ihre Zeit überschritten haben, vom Podium. Wer seine Redezeit unterschreitet, bekommt ein Lebkuchenherz, wer zu lange spricht, wird parodiert, oder spielerisch irritiert, bis sie oder er das Mikrophon freiwillig aus der Hand gibt.

Das macht die Veranstaltung kurzweilig und die selbstauferlegte Disziplin hilft, auch wenn die Vorträge bisweilen etwas flach ausfallen, oder wenn das Resümee fehlt. So aber geht es Schlag auf Schlag, von der Cyber Security zum Digital Decision Support, zur Artificial Intelligence und Big Data zur dann besinnlicheren „Self-Determination in a Networked society“.
Nicht alle Daten, die Voraussagen erleichtern, sorgen dabei auch für Erleichterung. So kommt wenig Freude auf, als Dirk Notz vom Max-Planck-Institute of Meteorology die Prognose ausgibt, dass aufgrund zuverlässiger Datenanalyse davon auszugehen sei, dass in 20 Jahren auch das letzte arktische Eis geschmolzen sein wird. Auch Björn Menzes Vortrag zur bildbasierten Analyse der Verbreitung bestimmter Krankheitssymptome und der Verbindung solcher Daten mit „geospatial data“ macht nachdenklich. Die Tiefe der Erkenntnis mag punktuell weit gehen, doch – mit den Fragen im Hinterkopf, die Tilman Santarius im Tagesspiegel (und auch bei seinem Vortrag) erörterte, schwingt eben immer auch schon die Sorge mit, wie solche Daten nicht nur generiert, sondern auch genutzt werden und was das schließlich für die soziale Realität und den Zusammenhalt in unseren Gesellschaften bedeuten könnte.
Die Digital Future 2018 ist dabei ein Forum des Aufbruchs, sie versteht sich als Meeting-Point zwischen Wissenschaft und Wirtschaft unter besonderer Betonung der „young digital talents“, die mit am Tisch sitzen. Ob aber die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft in jedem Fall auch zum Nutzen breiterer Gesellschaftsschichten sein wird, daran darf man seinen Zweifel haben. So lesen sich zum Beispiel die ausgegeben Arbeitsfelder des Weizenbaum-Instituts mit Blick auf „Arbeit, Innovation, Werte, Verantwortung im digitalen Markt, der Wissensproduktion, der sozialen Ungerechtigkeit, Demokratie und Governance und technischem Wandel“ zwar als bewusst allumfassender Zugang – wie die Gewichtung dann aber ausfallen wird und in wieweit die Partner und Geldgeber aus der Wirtschaft die Fragestellungen und Handlungsspielräume prägen können, wird erst die Zukunft zeigen.

In Arnd Hallers Vortrag zur neuen Gesetzgebung gegen Fake News klang dann schon deutlich die Logik der Unternehmen durch. Es bestehe, so Haller, die Gefahr, dass das Kind (in seinem Sinne die „Freedom of Speech“) mit dem Bade ausgeschüttet würde, wenn nationale Gesetzgebung private Unternehmen zu sehr regulieren würden. Dies könne unter Umständen zu einer Situation führen, in der Informationen gelöscht würden, ohne dass sie vorher geprüft wurden. Etwas anders drückte es Ulrich Kelber, Mitglied des Deutschen Bundestages, in seiner pointierten Rede aus. Das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Daten sei lebenswichtig für zukünftige Entwicklungen und den Erfolg der digitalen Zukunft. Niemand dürfe für den Schutz seiner Daten oder zur Wahrung seiner Rechte zur Kasse gebeten werden. So richtig solche Forderungen auch sind, machen sie doch nachdenklich, denn in wessen Hand liegt der Schutz der Daten am Ende wirklich? Und wer entscheidet darüber, wie sie genutzt werden? Da war es vielleicht fast folgerichtig, dass einer der letzten Beiträge Mariarosaria Taddeo vorbehalten war, der stellvertretenden Direktorin des Digital Ethics Labs am Oxford Internet Institute at University of Oxford, in dem sie darauf hinwies, dass alle sich andeutenden Innovationen eben auch auf ihre soziale Akzeptanz hin zu prüfen seien. Digitale Innovation müsse immer daran gemessen werden, ob sie noch im Dienste des Menschen geschehe. Es gehe darum, Möglichkeiten zu erkennen und gleichzeitig Fehler zu vermeiden. Hier spätestens geht dann die Schere zwischen absehbarem wirtschaftlichem Nutzen und kommerziellen Interessen und den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung auseinander.

Auch Tilman Santarius wies im Tagesspiegel darauf hin, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, um zu fragen: „Welche Digitalisierung wollen wir eigentlich?“ Diese Frage könne nicht von Ingenieuren und Technikern beantwortet werden, sondern es bedürfe einer gesellschaftlichen Debatte. Hier mag man nicht widersprechen, allein, es fragt sich, wer eine solche Debatte in Gang bringt und wer eine Stimme und Gehör in dieser Debatte hat. Kommen solche Rufe nach gesellschaftlicher Reflexion nicht reichlich spät und sind Machtzentren des Digitalen wie Facebook und Google wirklich noch daran interessiert, was einzelne nationale Akteure planen, oder verfolgen sie nicht längst ganz eigene, von den Interessen der Bevölkerungsmehrheit losgelöste Konzerninteressen mit heute noch unklarem Ausgang?
Brauchen wir also wirklich einen „Upgrade“ unserer „natural Intelligence“, wie die Macher der Digital Future 2018 verkündeten, oder sollten wir unsere natürliche Intelligenz vielmehr dazu nutzen die Digitalisierung ganz bewusst und in unserem Sinne zu steuern? Es wäre einen Versuch wert.