Digitale Entwicklung im Kulturbereich

Der Innovationsfonds, eine Konferenz und viele Diskussionen

Was brauchen Museen, Theater und Bibliotheken, um ein digitales Profil zu entwickeln? Braucht es mehr Unternehmergeist, müssen Mitarbeiter programmieren lernen, was heißt denn nun ‚agil’ zu sein?

Im Dock 1, der multimedialen Bibliothek in Aarhaus, schlägt ein Gong immer dann, wenn ein Kind in der Stadt geboren wird. Die Geburtsstationen der Stadt sind mit der Bibliothek verbunden und dort können Eltern nach der Geburt ihres Kindes per Knopfdruck den Gong erklingen lassen. Ein eindrucksvolles Symbol dafür, wie eine Kulturinstitution zum Zentrum einer ganzen Stadt werden kann, berichtet Danilo Vetter, Bibliotheksleiter in Pankow, auf der Veranstaltung „Digitale Entwicklungen im Kulturbereich“. Für die Gesellschaft relevant sein, die Menschen mit ihren Bedürfnissen ernst nehmen, ihnen eine Stimme geben, das alles kann im Zuge der Digitalisierung geschehen, so die These. Die Konferenz – ausgerichtet von der Technologiestiftung Berlin – bringt zu diesem Zweck die unterschiedlichsten Akteure aus der Berliner Kultur- und Startup-Szene auf die Bühne, um über die Möglichkeiten eines durch den Berliner Senat eingerichteten Innovationsfonds zu beraten. Selten erlebt man, dass auf einer Veranstaltung zum Thema ‚digitaler Wandel‘ so offen über die Visionen, aber auch über die Grenzen der digitalen Entwicklung im Lande gesprochen wird.

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Nicolas Zimmer: Es gibt eine Menge Luft nach oben!

In einer Reihe von Kurzvorträgen stellen ExpertInnen aus unterschiedlichen Institutionen, aber auch Vertreter der sogenannten freien Szene ihre Perspektiven auf das Thema dar. Nicolas Zimmer, Vorstandsvorsitzender der Technologiestiftung macht deutlich, dass viele Museen, Theater und Bibliotheken das Potenzial der Digitalisierung heute bei Weitem nicht ausschöpfen. In den großen Häusern, so seine Annahme, fehlt es an geeigneter Expertise und oft auch an Ressourcen, um sich effektiv im Netz zu vermarkten. Zu wenig sei über Datenmanagement, über Datenpooling, -optimierung oder -targeting bekannt. Damit aber blieben zentrale Instrumente ungenutzt, um auf dem Markt um Aufmerksamkeit zu konkurrieren. Was nutzt die schönste Webseite, wenn sie niemand finde, so die Frage. Nur gut ein Drittel aller Berliner Kulturinstitutionen würden zum Beispiel Analytics-Software nutzen, um zu ermitteln, von wem und in welchem Maße ihre Angebote überhaupt wahrgenommen würden. Als Beispiel für gelungene Zielgruppenansprache erwähnt Zimmer die Personalisierung von Content auf Netflix, wo der gleiche Inhalt je nach User sehr unterschiedlich beworben werde. Angesichts enormer Reizüberflutung (6000 Informationen pro Tag muss die/der DurchschnittsbürgerIn prozessieren) müssten Kulturinstitutionen sich aber über die Ressource Aufmerksamkeit bewusst werden.

„Attention is a resource – a person has only so much of it.“ (Matthew Crawford)

Katrin Glinka, die das Verbundprojekt museum4punkt0 steuert, weist in ihrem Vortrag darauf hin, dass vor allem das „soziale System kultureller Institutionen“ dringend erneuert werden müsse. Diese Forderung ist an diesem Tag mehrfach in der UFA-Fabrik zu hören.

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Katrin Glinka: „Nicht bei Null anfangen!“

 

Der museale Workflow sei generell auf das Ergebnis (z.B. die fertige Ausstellung) konzentriert. Solche Arbeiten würden oft hinter geschlossenen Türen geschehen – bis zu dem Moment der feierlichen Eröffnung. Dies aber stünde im Gegensatz zu einer agilen Arbeitsweise und einem digitalen Mindset, das es zu entwickeln gelte. Dabei sei aber gerade der Austausch zwischen verschiedenen Institutionen und Häusern eine besondere Chance, um Lernprozesse und Innovationen zu triggern.

Der Ansatz, den Glinka und KollegInnen in ihrem Projekt vorangetrieben hätten, sei gleichzeitig deutlich prozessorientiert, was so viel heißt wie: es ist nicht nur das Ergebnis, das zählt, sondern auch der Weg dorthin. Projekte werden online präsentiert noch bevor sie fertig werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Human Centered Design müssten gestärkt werden, um den digitalen Wandel in die Institutionen zu tragen. Offenheit sei ein zentrales Anliegen, ohne Open Data, Open Source und Open Access ließe sich der Wandel nur schwer bewerkstelligen. Jede Innovation auf diesem Gebiet brauche das Zusammenspiel von verschiedenen Disziplinen und dem Publikum, um neue Impulse zu ermöglichen. Es gibt zu diesen Aussagen viel Nicken und zustimmendes Murmeln aus dem Publikum. Gleichzeitig lässt sich zwischen den Zeilen  lesen, was für ein ambitioniertes Unterfangen das sein mag und es wird deutlich, dass es hierfür nicht einzelnen Projekte, sondern eine institutionenübergreifende Initiative, einen übergreifenden Kulturwandel braucht.

Interessanter Weise beginnt die Veranstaltung in dem Moment Fahrt aufzunehmen, als dann Akteure das Wort ergreifen, die eben nicht in den Institutionen des öffentlichen Dienstes ansässig sind.

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Philip Streimel, machina eX: „Bei uns geht eigentlich immer alles schief!“

Susanne Schuster, freie Dramaturgin, und Philip Streimel, der die technische Leitung bei machina eX hat, stellen in ihren Beiträgen dar, wie mit digitalen Hilfsmitteln auf der Bühne oder in der Stadt eine theathrale Interaktion mit dem Publikum initiiert werden kann, die mit gängigen Gewohnheiten bricht und ungeachtet von Alter und Hintergrund zum kritischen Nachdenken über die Gesellschaft aufruft. In der anschließenden Diskussion geht es dann ans Eingemachte. Impulse, die durch die freie Szene gesetzt würden, seien zwar wertvoll und würden gerne eingekauft, um sich mit diesen einen innovativen, weil digitalen Anstrich zu geben, gleichzeitig brauche es aber Räume und Ressourcen, um solche Impulse nicht auf Kosten eines digitalen Prekariates zu realisieren, sondern Strukturen zu schaffen, die als Motor für Innovation dienen könnten. Um digitale Impulse zu setzen, so die These, müsste man aber nicht programmieren können, sondern es ginge eher um ein „digitales Mindset, statt um digitales Skillset“.

„Es geht um ein digitales Mindset, nicht um ein digitales Skillset!“ (Philip Streimel)

In einem kurzweiligen Abschlussvortrag erweitert Prof. Koch vom Zuse-Institut die Veranstaltung dann um das Thema digitale Langzeitarchivierung. Anhand aus dem Alltag gegriffener Beispiele zeigt er, dass kulturelle Institutionen, genau wie Privatpersonen, ein Interesse daran haben sollten, sich um die langfristige Verfügbarkeit ihrer Daten zu kümmern. Was sich zunächst trivial anhört, erweist sich gerade für große Institutionen als Herausforderung. Kleine und mittlere Institutionen hätten oft nicht die Mittel, den Digital Curation Lifecycle angemessen zu berücksichtigen und selbst für große Institutionen sei dies nur mit großem Aufwand möglich. Wer sich einmal die Youtube-Videos in der Library of Congress zu dem Thema angesehen hat, weiß wovon Prof. Koch spricht. Seine Institution bietet hier durch das Projekt digiS Abhilfe. Seit 2012 sind dort inzwischen 72 Projekte aus 32 Institutionen digitalisiert worden. Das Ziel sei es, das kulturelle Erbe in digitaler Form in der Deutschen Digitalen Bibliothek und auf Europeana zu erhalten. Abgesehen davon – und auch das öffnet ein fast unüberbrückbares Themenfeld – müsse genau überlegt werden, was von welcher Institution eigentlich bewahrt werden solle und was man löschen könne, ansonsten stünden wir alle irgendwann vor einem Datenmüllhaufen gigantischen Ausmaßes, der höchstens noch für Datenarchäölogen von Interesse sein könnte.

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V.r.n.l.: Danilo Vetter, Prof. Friedrich Kirschner, Sylvie Kürsten, Dr. Klaus Lederer

So liefern die genannten Kurzvorträge einen vielfarbigen Eindruck davon, wie viele Aspekte eine Rolle spielen, wenn es um den digitalen Wandel oder die Entwicklung einer digitalen Strategie in den Institutionen geht. Wie sich Vision und Wirklichkeit in Zukunft miteinander vermitteln lassen, darüber diskutieren am Ende des Tages der Berliner Kultursenator Klaus Lederer mit Professor Friedrich Kirschner von der Ernst-Busch Schauspielschule und mit oben schon genanntem Danilo Vetter. Die Analyse des IST-Zustand fällt dabei bisweilen unfreiwillig komisch aus. Lederer: „Wenn ich morgens meinen Rechner hochfahre, dann frage ich mich schon manchmal, warum dauert das so lange!“ Die Infrastruktur zu erneuern sei offensichtlich ein Anliegen und die zukünftigen digitalen Anforderungen müssten eben auch bereits bei heutigen Bauprojekten (siehe Sanierung der Komischen Oper) mitgedacht werden. Jede Kulturinstitution, die in Zukunft noch relevant sein wolle, müsse heute die Weichen stellen und umdenken, so der Senator. Ein digitales Mindset sei eben nicht, wie viele denken mögen, eine Frage des Alters, sondern eine Frage der Einstellung. Wer bereit sei etwas zu lernen, der sei auf dem richtigen Weg. Der Innovationsfonds, der nun auf den Weg gebracht würde, sei ein Experimentierfonds und dazu da, die Lücken zwischen freier Szene und kulturellen Institutionen des öffentlichen Lebens vielleicht etwas kleiner zu machen, wenn nicht gar zu schließen. Angesichts der überschaubaren Mittel (2018 – 250.000 Euro/2019 – 500.000 Euro) sei natürlich Bescheidenheit und ein klarer Fokus geboten. Es ginge, so Lederer, auch nicht darum schon geförderten Institutionen weiteres Geld zu geben. Selbstverständlich werde man nicht alle Probleme sofort lösen – aber die Offenheit zur gemeinsamen Zusammenarbeit, die sich schon zeige und die sich auch durch die hohe Beteiligung an der Veranstaltung zum Ausdruck bringe, mache Grund zur Hoffnung. Überhaupt – und da spricht Klaus Lederer ein großes Wort gelassen aus – könne Politik das ermöglichen, was die Gesellschaft als Notwendigkeit formuliert. Die Debatte um die digitale Zukunftsfähigkeit ist in diesem Sinne eben nicht nur Aufgabe und Thema von Politik, sondern ein Aufgabe für die Bürgerinnen und Bürger. Quasi eine digitale Grasroots-Bewegung. Wo ein Bedarf formuliert würde, dort flössen dann auch die Investitionen hin.

Wie stark individuelles Engagement und kreative Ideen die Innovation triggern können, zeigt Danilo Vetter am Ende anhand einiger Beispiele aus dem Kosmos der Stadtbibliotheken. In Charlottenburg sei zum Beispiel ein MusicMakerSpace initiiert worden und dann wurde in der Bibliothek mit Sounds und Instrumenten experimentiert und die Jugendlichen konnten digitale Schnittprogramme, Sound-Effects und ähnliches ausprobieren. An anderer Stelle habe man mit Unterstützung des Fraunhofer-Instituts einen Workshop initiiert, in dem Kinder mit Platinen experimentieren konnten. Es ginge bei solchen Initiativen vor allem darum den TeilnehmerInnen zu zeigen, welche Möglichkeiten sie hätten, es ginge um Selbstermächtigung. Agilität, das zeigen solche Beispiele, beginne mit Initiative und eigenen Ideen und Innovation sei kein hohes Ziel, auf das man hinarbeiten müsse.

Wichtig sei es aber, resümiert Kultursenator Lederer, dass immer klar bleibe, dass Museen, Theater oder Bibliotheken nicht um ihrer selbst willen existierten, sondern für ihr Publikum. Und er fügt hinzu, nein, nicht nur für ihr Publikum, sondern eben auch für jene Menschen, die heute noch nicht deren Angebot wahrnehmen würden. Die ganze Gesellschaft mitzudenken, das müsse das Ziel für alle aus der öffentlichen Hand geförderten kulturellen Institutionen sein. Auch wenn in solchen Sätzen schon wieder viel Politik mitzuschwingen scheint – es fühlt sich in dem Moment doch ein bisschen so an, als hätte gerade wieder einmal die Glocke in Aarhaus geläutet. Aufwachen! Neu denken! – das ist die deutliche Botschaft dieses Abends.

Weitere Impressionen von der Konferenz auf https://kultur-b-digital.de/

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