Versuch einer Annäherung an die Ausstellung „Nach der Natur“ des Humboldt-Lab im Humboldt-Forum Berlin
Wer ins Humboldt-Lab will, muss Strecke machen. Bis man es in die Ausstellungsräume des ersten Stocks des grandios weitläufigen Berliner Schlosses geschafft hat, brennen schon die Füsse. Lange Rolltreppen sollen es einem leichter machen. Man fühlt sich an das Berliner ICC erinnert, jedenfalls was die Dimensionen betrifft, leider gilt das nicht gleichermaßen für die Gestaltung. Insofern freut man sich, wenn man die Gebäudehülse mit den barockisierenden Fassaden hinter sich hat, um (gleich gegenüber der Berlin-Ausstellung) das Humboldt-Lab zu erkunden.

Der erste Eindruck weckt Neugierde. Ein in Dunkelheit getauchter Raum in Form einer Wunderkammer, geheimnisvoll schimmernde Vitrinen, hier und da aufflackernde Medienstationen. Aber worum geht es? In jedem Fall – das wird in der Einleitung an einer Reihe von Monitoren deutlich – kommen hier Vertreter der Humboldt-Universität zu Wort. Hier sprechen Vertreter von Exzellenzclustern der Universität über Forschung und ihre Interessen. Dabei liegen die Themen weit voneinander entfernt. Eine inhaltliche Klammer ist kaum auszumachen und man sucht sie auch in der Ausstellung vergebens.

Auch der wandhohe Vorhang im Eingang, auf dem ein interaktiver Fischschwarm projiziert ist und an eine sehr ähnliche Animation (https://www.atelier-brueckner.com/en/den-bla-planet) im Nationalaquarium Den Blå Planet (https://denblaaplanet.dk/en/welcome/) in Kopenhagen erinnert, bietet keine hinreichende Erklärung. Ja, vielleicht versteht sich Wissenschaft als Schwarm? So würde die Metapher vielleicht Sinn machen. Die begleitende App erläutert: Der Fischschwarm „(…) steht sinnbildhaft für die Forschungsprojekte, die sich hier vorstellen. Wissenschaft ist vielfältig und immer in Bewegung.“ Nun gut.

Die Wunderkammer geht mit der offensichtlichen Kakophonie der Themen progressiv um. Hier passt im Grunde wenig zusammen, man könnte sagen, die Schau wurde absichtlich „gewürfelt“. Damit dieser Umstand nicht störend ins Gewicht fällt, haben die Macher einige wirkungsvolle Tricks angewandt. Zunächst werden die meisten Themen in uniformen, von der Decke abgehängten Vitrinen präsentiert, die der Ausstellung gestalterische Uniformität verleihen. Die Vitrinen selbst sind erwähnenswert, weil sie wie Scherenlampen beweglich sind und mit aufwändiger Kabellage eine technische Aura verbreiten, die sich von den Inhalten der Ausstellung kaum trennen lässt. Der Raum bekommt dadurch so etwas wie eine intelligente Formatierung, die Besucher begreifen: die Vitrinen können bei Bedarf an die Decke gefahren werden, so dass eine alternative Nutzung des Ausstellungsraums als Veranstaltungsraum möglich wird. Hier wird geschickt vor Augen geführt, wie eine intelligente Mehrfachnutzung aussehen könnte. Die Besucher bleiben über Sinn und Zweck dieser (gestalterischen?) Entscheidung allerdings im Unklaren.

Ein weiteres, die Ausstellungsobjekte und Themen begleitendes Element, sind die allgegenwärtigen Medien. Zahlreiche Filmstationen und interaktive Anwendungen dominieren die Ausstellung – kaum eine Vitrine, die nicht mit einem Smartphone bestückt wäre, an der nicht ein Tablet oder ein Monitor installiert wäre.




Dazu kommt eine an der Längsseite des Raumes installierte, raumgreifende Medieninstallation, auf der wandhohe Videos und Interviews zu den Themen der Ausstellung präsentiert werden. Die Besucher können diese Parallelinszenierung kaum ausblenden, allerdings ergibt sich dadurch eine ungewollte Spannung zwischen Objekten, Vitrinen und Projektion an der Wand. Man muss nun eine Entscheidung treffen, das ist ein wenig irritierend und so beginnen die Besucher etwas ziellos durch den Raum zu mäandern. Das ist vielleicht auch im Sinne einer Ausstellung, in der es kein Anfang und kein Ende gibt und in der – wie in vielen Ausstellungen – jeder Besucher seinen individuellen Weg findet. Am Ende der Ausstellung reklamieren die Ausstellungsmacher genau dieses Prinzip: jeder Besucher, so ein Text, gestaltet auf einem individuellen Parcours durch Vitrinen und Themen eine eigene, unverwechselbare Route durch Informationen und Wissen und schaffe so neue Sinnzusammenhänge und Bedeutungen. Es scheint, als ob den inhaltlich unverbunden miteinander im Raum stehenden Dingen und Themen nachträglich ein sinnhafter Zusammenhang unterstellt werden soll. Doch daran krankt diese Ausstellung. Es stellen sich kaum Bezüge her und es erschließt sich nur schwer, was eigentlich vermittelt werden soll.

An einer Stelle wird über Klimawandel und abschmelzende Gletscher erzählt, dort werden Mineraliensammlungen neben Kunst aus Benzinkanistern, oder Farbmittelproben präsentiert, an anderer Stelle wieder wird eine Einführung in die Hirnforschung neben Themen des Kolonialismus diskutiert. Es werden Auszüge aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität als Hörstationen vermittelt, oder Anekdoten über archäologische Ausgrabungen im ägyptischen Wadi el Sufra beschrieben. Diese thematische Kakophonie bringt den Besucher ohne Not in Verständnis- und Orientierungsschwierigkeiten. Das Auge sieht Vielfalt, das Hirn wünscht Klarheit, doch die Leitmotive bleiben vage.

Wenn man die Ausstellung verlässt und sich daran zu erinnern versucht, mit welchem – alles verbindenden – Thema sich diese Ausstellung auseinandergesetzt hat, oder welche Leitmotive die Erzählung getragen haben, wird das Ausmaß der Desorientierung klar. Es gelingt auch postfaktisch kaum, hier einen Zusammenhang zu konstruieren. All diese Themen haben etwas mit der Universität zu tun, sind Gegenstand, oder Ergebnis von Forschung und oft beziehen sie sich auf relevante, gesellschaftliche Herausforderungen, aber ist das schon ein Narrativ?
Natürlich könnte man mit genügend Zeit im Gepäck auch diese Ausstellung erschließen und mit einiger Anstrengung Themenkomplexe voneinander abgrenzen. Diese Arbeit aber hätte die Ausstellung den Besuchern leichter machen können. Es wäre die Aufgabe von Kuratoren, Themen so zu entwickeln, dass sie verständlich werden, dass sie nicht nur visuell ansprechend dargestellt werden, sondern auch zum Denken anregen und etwas bewegen – über den Museumsbesuch hinaus. Das kann oder will diese Ausstellung aber nicht leisten. Das können dann die in der Ausstellung ausgelegten Flyer auch nicht mehr auffangen. Dort lernt man, dass hier Themen wie „Freiheit und Verwaltung. Forschen in der DDR“, „Macht und Kritik“, „Denk Nach(haltig)“, oder „Das Geschlecht der Wissenschaft“ den inhaltlichen Rahmen setzen sollen. Wir haben es also mit mindestens vier ineinander verschränkten Ausstellungen zu tun. In der begleitenden Smartphone App lernt man darüber hinaus, es seien „Grenzen“, „Ordnungen“, „Sichtbarkeit“ und „Zeitlichkeit“, welche die thematischen Leitplanken für die Ausstellung bieten. Diese Offenheit, die sich durch die diffusen Motive in die Schau schleicht, mag zwar gewinnbringend sein für wissenschaftliche Forschung, für die Besucher einer Ausstellung bietet sie allerdings kaum Orientierung.
Bemerkenswert ist, dass die Art der Präsentation dennoch viel von der inhaltlichen Sprunghaftigkeit der Ausstellung zu kompensieren vermag. Man geht gerne durch die Ausstellung und es gibt viel zu entdecken. Wenn man den Anspruch aufgibt, ein Gesamtverständnis dessen zu bekommen, was gezeigt wird, wenn man sich lustvoll auf die kleinen Dinge einlässt, entfaltet sich etwas Magie, die durch die stimmungsvolle Beleuchtung der einzelnen Vitrinen ohnehin schon im Raume schwingt. Man bewegt sich eben durch eine Wunderkammer, in der es zunächst ums Staunen und erst danach ums Verstehen geht. Ärgerlich ist aber, dass an vielen Stellen die Objekttexte unterhalb der Vitrinen angebracht sind und von diesen verschattet werden. Viele der Texte sind sehr klein gedruckt und in einer Sprache geschrieben, die für eine Ausstellung eher unüblich ist. Wer etwas über die Dinge lernen will, die hier gezeigt werden, hofft vergebens. Oft dienen diese nur als Anhaltspunkt, um mit ausufernden Erklärungen ein übergeordnetes Thema, oder einen Forschungsbereich auszumalen. Mehr Fokus auf das, was gezeigt wird, hätte der Ausstellung gut getan.

Wäre man kritisch, könnte man behaupten, die Ausstellung kranke an der selben Krankheit, an der auch das Schlossprojekt im Ganzen krankt: einem Übergewicht an Fassade. Das wäre im Falle des Humboldt-Lab aber nicht gerecht. Hier gibt es Substanz, vielleicht sogar so viel Substanz, dass es den Machern nicht leicht gefallen ist, diese zu bändigen. Vielleicht stammt daher auch der Titel der Ausstellungfläche: das Humboldt-Labor. In einem Labor darf man experimentieren – mit offenem Ausgang. Im Labor gibt es die Freiheit, neue Wege zu gehen und Dinge in Kontexte zu stellen, neue Bezüge zu schaffen, um zu prüfen, wie sie reagieren. So und nur so findet die Auseinandersetzung mit dem Humboldt-Lab ein versöhnliches Ende.