„Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“

Wie das Zukunftsprojekt museum4punkt0 auf die Gegenwart gekommen ist. Ein Werkschau-Bericht.

Am 24. Juni 2022 lädt das Verbundprojekt museum4punkt0 zur Werkschau in das Zentrum für kulturelle Bildung im Haus Bastian in Berlin. Direkt gegenüber der James Simon Galerie liegt der Veranstaltungsort beschaulich an der Spree — in bedeutungsvoller Nähe zur Museumsinsel, dem kulturellen Zentrum der Stadt. Vielleicht ein passender Ort für ein Projekt mit ehrgeizigen Ansprüchen? Im Haus Bastian stellen sich einige der 27 Teilprojekte vor, die — an sehr unterschiedlichen Orten und auf sehr unterschiedliche Weise — die Zukunft der digitalen Vermittlung im Museum gestalten wollten.

Viel Ufer – wenig Spree: Blick aus dem Haus Bastian

museum4punkt0 verrät ja schon im Titel, dass es die Zukunft auf der Agenda hat und die Zukunft ist ja nicht nur in der Filmbranche ein einträgliches Geschäft. Wer die Zukunft zu gestalten verspricht, ist Avantgarde. museum4punkt0 ist in seiner visionären Ausrichtung also sicher eines der bedeutendsten Kulturprojekte des Landes und wurde bereits in der ersten Projektphase ab 2017 mit einer Gesamtsumme von 15 Millionen Euro durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Das Projekt wurde inzwischen mehrfach verlängert. Aber welche Richtung gibt diese Avantgarde vor?

Im ursprünglichen Projektdesign trug museum4punkt0 noch den Untertitel „Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“. Das ist wohl etwas breit formuliert, sorgte als Versprechen aber für Aufmerksamkeit und Förderung. Inzwischen heißt es deutlich abgewandelt und milder: „museum4punkt0 — Digitale Vermittlung im Verbund für alle“. Was das nun genau bedeutet, wie diese inhaltliche Korrektur eigentlich aussieht und welches die gemeinsamen Ziele der vielen unter dem Schirm von museum4punkt0 versammelten Akteure sein können — solchen Fragen bin ich bei meinem Besuch in der Werkschau nachgegangen.

Im Zentrum der Initiative steht der Einsatz von digitalen Anwendungen für „Bildung, Vermittlung und Partizipation in verschiedenen Museumstypen und -infrastrukturen. Die entstehenden digitalen Angebote sollen Besucherinnen und Besucher dabei unterstützen, sich museale Sammlungen und Themen möglichst abwechslungsreich zu erschließen und stärker an der Wissensbildung im Museum teilzuhaben.“ (https://www.wissenschaftskommunikation.de/museum4punkt0-digitale-formate-fuer-museen-27197/) Soweit die Absichtserklärung aus der Frühphase des Projektes. Mit der fortschreitenden Digitalisierung — so die damals verbreitete Hoffnung — möge auch eine Demokratisierung der Institution Museum einher gehen.

In dieser Beschreibung klingt auch schon eine der zentralen Herausforderungen mit an, der sich Museen bei ihren Bemühungen um die Nutzung digitaler Kanäle stellen müssen: es gibt Institutionen mit sehr unterschiedlichen Möglichkeiten — mit unterschiedlichen Budgets und unterschiedlicher Größe und personeller Ausstattung. Was für öffentlich geförderte Leuchtturmmuseen noch zu bewerkstelligen ist, kann für kleinere Museen zur unüberwindlichen Hürde werden. Daher hat sich museum4punkt0 für ein kollaboratives Tandemverfahren entschieden, bei dem ausdrücklich nicht nur die Platzhirsche im Kulturzirkus vortanzen, sondern durch das gerade auch kleinere Institutionen von Zusammenarbeit und Austausch profitieren können. Zu den im Verbund organisierten Institutionen zählen so neben der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren Staatlichen Museen zu Berlin“, „dem Deutschen Museum“, dem „Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz“, dem „Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven“, und der „Stiftung Humboldt Forum im Berlin Schloss sowie (dem) Fastnachtsmuseen Schloss Langenstein und Museum Narrenschopf Bad Dürrheim“ (https://www.wissenschaftskommunikation.de/museum4punkt0-digitale-formate-fuer-museen-27197/) auch kleinere Museen, wie das Museum und Park Kalkriese, die beispielsweise über eine App das Gelände der Varusschlacht erschließen will.

Wandgrafik in der Werkschau

Die Besucher der Werkschau werden dann allerdings erst einmal von überlebensgroßen Wortwolken an den Wänden empfangen, die etwas hölzern die Leitfragen und Ideenfelder des Projektes umreißen: „Wie kann das immaterielle Kulturerbe digital lebendig werden?“, „Wie können Museen Wissenschaft digital vermitteln?“, oder: „Wie können Museen gesellschaftlich noch relevanter werden?“. Diese Fragen werden dann durch Schlagworte bebildert, wie „Multiperspektivität“, „Partizipation“, „Gegenwartsbezug“, „Kulturelle Teilhabe“, oder „Emotionen wecken“. Die Ansprache im Raum wirkt irgendwie zusammengewürfelt, in jedem Fall aber etwas aus der Zeit gefallen. Die Hinleitung hinterlässt den Eindruck, als ob die Macher von museum4punkt0 von den schier überwältigenden Möglichkeiten, die durch Apps und Devices, durch VR oder AR entstehen, überwältigt wären.

Medien-Installation Fasnachtmuseum Schloss Langenstein

Wenn der Besucher dann aber ins Gespräch kommt mit den Machern und Anbietern, bekommen die Projekte ganz konkrete Konturen. So präsentiert das Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein eine per iPad steuerbare Monitorinstallation, durch die im Handumdrehen User Generated Content in der Ausstellung sichtbar gemacht werden kann. Das intuitive CMS macht es möglich Inhalte und Themen spielerisch zu kuratieren und Bilder, Texte und Bewegtbildformate nebeneinander zu stellen. Die Herausforderung einer solchen Inszenierung liegt dann in der Auswahl und Freischaltung von Inhalten, die von Museumsbesuchern bereit gestellt werden. Die Frage, wie es gelingen kann das Publikum zur Partizipation zu bewegen und wie sich die Qualität solcher Beiträge sicherstellen lässt, bleiben zunächst offen — die Möglichkeiten der entwickelten Anwendungen liegen aber auf der Hand.

Kuratieren per drag & drop

Auch die Anwendung, die durch die Agentur „hapto“ in Zusammenarbeit mit dem Senckenberg Museum für Naturkunde vorgestellt wird, deutet die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Vermittlung an. Hier werden auf einem volumetrischen Display interaktive Hologramme projiziert, durch die Präparate und taxonomische Details erkundet werden können. Die Anwendung weckt sofort die spielerische Lust und macht Aspekte sichtbar, die Besucher sich mit dem bloßen Auge wohl kaum erschließen könnten. Der Mehrwert der Technik und die aktivierende Wirkung der Interaktion, machen diese Anwendung zu einem Highlight der Werkschau. Dem Projekt gelingt die Integration von komplexen Inhalten und ist dabei doch intuitiv und leicht zu bedienen. Obwohl die Anwendung in der Werkschau ebenfalls viele Fragen offen lässt, entsteht vor dem inneren Auge doch sofort ein Spektrum von Möglichkeiten, die sich durch eine solche Technologie ergeben.

An anderer Stelle präsentiert das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Medieninstallation, welche „vielfältige Stimmen zu den Ereignissen rund um die friedliche Revolution und dem Mauerfall 1989/90“ zu Gehör bringen wird. Zwar wirkt die Interaktion über Identity Cards mit aufgedrucktem QR-Code weit weniger innovativ als die „hapto“-Anwendung, doch auch diese Medienanwendung überzeugt durch ihre robuste Interaktion und bietet eine gute Präsentationsfläche für Interviews und Texte, die eine intensive Auseinandersetzung mit O-Tönen befördert.

QR-gesteuerte Medien-Installation zum Mauerfall, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Zuletzt weckt auch die oben erwähnte App des Museum und Park Kalkriese Interesse. Per Geo-Tracking können Besucher des Museumsparks das historische Gelände der Varusschlacht erkunden und Objekte den Fundstellen auf dem Gelände zuordnen. Das Museum vermarktet diese App als „Entdecker-Tool“. Dieses „hält passende Werkzeuge bereit: Kompass, Navigator und Detektor, Schaufel und Stukkateureisen, Kamera und Scanner, Sandstrahl und Skalpell.“ Man könnte sich vorstellen, dass diese Entdeckungstour eine Reise wert wäre. Leider, so wird erklärt, bietet die App nur Texte, aber keine geführte Audiotour. Dies mag, so die Vermutung, wieder an den limitierten Möglichkeiten einer vergleichsweise kleinen Institution liegen. Die Idee und deren Umsetzung macht aber neugierig.

Dies sind nur einige wenige Beispiele der vielen Präsentationen der Werkschau. Sie zeigen aber exemplarisch, wie museum4punkt0 technische Applikationen in den Vordergrund stellt. Hier werden weniger die großen Fragen der Digitalisierung im Museum behandelt, als vielmehr konkrete Anwendungsszenarien entwickelt, die konkreten Nutzen und nachhaltigen Einsatz in den Ausstellungen versprechen und vielleicht auch hier und da liefern können.

Verbundprojekt mit Liebe zum Detail

Man könnte kritisch fragen, ob diese Herangehensweise nicht etwas klein gedacht ist für ein so massiv gefördertes Projekt wie museum4punkt0? Hätte das Projekt mit seinem großen Anspruch nicht einen größeren Wurf wagen sollen, um die Strukturen zu schaffen, die über das hinausweisen, was eine Agentur in einem halben Jahr entwickeln kann? Das Projekt befindet sich in einem seltsamen Konflikt. Technische Innovationen kommen in der Regel von spezialisierten Agenturen, oder von den Big Playern und Kulturinstitutionen adaptieren diese allenfalls für ihre Zwecke. Ob es der ursprüngliche Anspruch von museum4punkt0 gewesen ist, die Technik auf diese Weise ins Museum zu tragen, bleibt dahin gestellt. In jedem Fall wirken die Anwendungen der Werkschau zum großen Teil nicht wie die Einlösung einer großen Zukunftsvision, sondern nutzen vorhandene Technologie, um Inhalte zu vermitteln. Das machen aber viele Museen ohnehin in ihrer alltäglichen Arbeit und es bleibt offen, warum es einer so massiven Förderung bedurfte, um schließlich bei einer „Digitalen Vermittlung im Verbund für alle“ zu enden. Vielleicht aber lassen sich Entwicklungen wie die Aneignung der Digitalisierung durch Museen auch nicht mit der Gießkanne lösen, sondern brauchen eine breite, vielstimmige Entwicklung, die aus den Institutionen heraus wächst? In jedem Fall ist das museum4punkt0 so auf die Gegenwart gekommen. Und das ist vielleicht auch gut so.

Im Geiste Roger Willemsens hätte man vielleicht auch eine gedankliche Reise in die Zukunft unternehmen können, um sich zu fragen: Wer werden wir gewesen sein? Aus der Perspektive der Zukunft könnte man unter Umständen beleuchten: Hatten wir die Möglichkeiten des Digitalen in unserer Gegenwart überhaupt verstanden und — wie nutzten wir sie ? Ein vertieftes Verständnis dessen, was sich mit dem wirkungsmächtigen Schlagwort „digitale Zukunft“ verbindet, wäre in jedem Fall sinnstiftend, auch wenn uns für den Moment nur die Gegenwart bleibt.

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